Schlaf der Vernunft, with Andréas Lang, 29.04.2017 - 18.06.2017
Rathausgalerie - Kunsthalle, Munich (text in German below)
Main Space of the Kunsthalle, seen from the entrance.
Wandarbeit "Chamäleon", 2017, 32qm.
1 of 5 collages on the wall, in this case 120x140cm, 2017, mounted on alu-dibond
"The Expanded Self", 2012/2017, featuring Bobbie Wygant, famous for interviewing celebrities and filmmakers for over 7 decades, video clips found on Youtube and Vimeo (with strips of film of what she calls "reactions" and "reentactments".
The Expanded Self, is a reflection of the narcissism in Society: A woman is listening to, smiling at: herself. Any bystanders, physically standing between the two screens, will be overlooked/ignored as if non-existent.
"Down the Line", 2013, 1:08min, Loop. Invisible women and men, getting dressed and undressed at a relatively stressful pace, underlining that daily routine that we all have to do, and can be not just a creative act but also a dreadful and hectict one. Musical score by Lorenz Dangl.
SCHLAF DER VERNUNFT
Sofie Bird Møller und Andréas Lang
Rathausgalerie/Kunsthalle München
Ausstellung vom 29. April bis 18. Juni 2017
Die Ausstellung der beiden Künstler Sofie Bird Møller und Andréas Lang nimmt unter anderem Bezug auf das Capricio Nr. 43 von Francisco de Goya (1746 - 1828) „Der Schlaf / Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“.
Der Titel enthält eine doppeldeutige Aussage mit aktueller Brisanz. Wir erleben den Höhepunkt, aber auch die Grenzen, eines durch die Aufklärung hervorgebrachten Weltmodells, in dem alles machbar und vor allem verwertbar zu sein scheint, die totale Herrschaft des Menschen. Zum anderen wird von „postfaktischen“ Zeiten gesprochen, Irrationalität, Verschwörungstheorien und die Zombies eines totgeglaubten Nationalis-mus erwachen wieder zum Leben.
Den Künstlern Sofie Bird Møller und Andréas Lang ist das Interesse für das Bild hinter dem Bild gemeinsam, das was hinter der Oberfläche lauert. Das eigentlich Unsichtbare. Beide sind in ihren Arbeiten Grenzgänger, die sich zwischen real und imaginär bewegen. In den Fotografien von Andréas Lang erfährt man eine Atmosphäre, die auf die Anwesenheit eines nicht sichtbaren oder unausprechlichen hindeutet. Eigentlich ein Paradox in der Fotografie. Sofie Bird Møller bearbeitet ihre Motive so, dass Dinge verschwinden und gerade dadurch etwas anderes hervor scheint. Sie eignet sich meist vorgefundenes fotografisches oder grafisches Material an, und durch Intervention an der Oberfläche bekommt die ursrprüngliche Botschaft oder Geschichte des Motivs eine neue, andere Ebene. Die alte „Welt“ scheint durch, aber die künstlerische Geste beherrscht jetzt das Motiv. Das Resultat ist eine erweiterte Dimension des Bildträgers – und da kommen wir auf Lang’s Verwendung der Bildmotive zurück, die stets auch auf eine andere Dimension verweisen, wie in einem Schwebezustand zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Imagination. Lang spricht von einer visuellen Archäologie.
Die Gemeinsamkeit der Künstler zeigt sich deutlich dadurch, dass so etwas wie eine Geisterwelt in den Werken förmlich wahrnehmbar ist. Türen in die Unendlichkeit, bei denen man nicht weiss, was sich dahinter verbirgt. Zwischen den Arbeiten entsteht ein Dialog, oder eine Zwiesprache, welche die tiefgründigen Schichten des Unbewussten andeutet. Die Bilder bewegen sich im Zwielicht, sind unheimlich, rätselhaft, aber es wird keine Erklärung geboten. Der Betrachter wird eingeladen, sich in die Bildwelten der beiden Künstler hinein zu begeben und in das nicht Fassbare zu vertiefen.
"El sueño de la razón produce monstruos". Das spanische Substantiv "sueño" kann mit "Schlaf" oder "Traum" übersetzt werden. Die Verben "soñar" (= träumen) und "dormir" (= schlafen) legen dem Interpreten jedoch das Wort "Traum" nahe. Im vom Krieg mit dem napoleonischen Frankreich zerrütteten Spanien der vorletzten Jahrhundertwende war die Frage von Brisanz, ob die "Abwesenheit" der Vernunft oder der Traum vollkommener Vernunft mehr Unheil anrichtete.* „Die Phantasie, verlassen von der Vernunft, erzeugt unmögliche Ungeheuer; vereint mit ihr ist sie die Mutter der Künste und Ursprung der Wunder." (Goyas Kommentar zum Blatt 43).
Sofie Bird Møllers Werk ist schwer einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Sie bezieht sich auf eine lange Reihe von –ismen und Praxisformen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert wie z.B. Surrealismus, Abstrakter Expressionismus, Body- und Pop Art, (Asger) Jorn-ähnliche Modifikationen und feministische Kunst. Und wenn man Ihr Werk interpretieren will, könnte man es durchaus in einen feministischen und politischen Zusammenhang hineinfügen, und das Werk im Lichte des kritischen Zugangs zu sowohl traditionellen Rollenmustern, den Körperkult der Zeit und die überall stets anwesende
oberflächliche Werbeästhetik betrachten. Aber im Grunde genommen stellt die Künstlerin Fragen zur Authentizität und dem Verhältnis zwischen Oberfläche und der darunter liegenden Bedeutung in der Malerei – und in der Kunst generell. Sie erhielt 2016 ein Stipendium des F.L. Foghts Fond und des Danish Art Council, sowie einen Aufenthalt mit Ausstellung in Taipeh durch Apartment der Kunst, München, gefördert durch das Kulturreferat, München.
Die Fotografien und Video-Installationen von Andréas Lang ergründen den Genius Loci – den Geist der Orte, manchmal ausgewiesen sichtbar, manchmal unsichtbar. Seine Bilder können auf Geschichte, Mythen, Träumen oder verschütteten Kindheits-erinnerungen beruhen, die für ihn nicht immer rational zu erfassen sind, aber sie existieren als Empfindung oder Erlebnis. Seine oft düsteren, sparsam mit Licht
operierenden, bühnenhaften Szenerien haben häufig etwas Beunruhigendes, Geheimnisvolles, doch sie erscheinen mitunter auch seltsam vertraut. Wie in einem Schwebezustand zwischen Traum und Realität, Vergangenheit und Gegenwart. Oft sind es Langzeitprojekte mit denen Lang sich beschäftigt, so zuletzt auf den Spuren des deutschen Kolonialismus in Kamerun und im Kongo Grenzgebiet. 2016 erhielt er das
AArtist in residence Stipendium des Auswärtigen Amts und LVBG (Landesverband Berliner Galerien) und 2017 das Arbeitsstipendium Bildende Kunst des Kultursenats Berlin.
Beide Künstler haben an zahlreichen Ausstellung im In- und Ausland teilgenommen und sind in öffentlichen Sammlungen vertreten.
*Zitat aus einen Vortrag von Stefan Nehrkorn, Humboldt Gesellschaft Berlin am 16.03.99